Dez 12. '1810.00 Uhr

7. Stilgebot für guten Text: 
Benutze aktive, präzise Verben

Besser lebendig und genau als starr und flau.

Von Ralf Isau

Aktive, präzise Verben beleben einen Text. Sie schalten beim Leser das Kopfkino ein und nehmen ihn mit. Während dynamische Tätigkeitswörter beflügeln, gleichen die statischen einer Eisenkugel am Bein eines Texts: Er schleppt sich mühsam voran. Sind die Verben zudem unpräzise, rauben sie dem Text die Farbe. Es ist, als schriebe man schwarz-weiß. Der Text wirkt leblos und flau.

Dieses Plädoyer für aktive Verben ist kein zweiter Aufguss des 6. Stilgebots »Meide das Passiv«. Sie können Tätigkeitswörter in der Aktivform schreiben und der Leser langweilt sich trotzdem. Dies vermeiden Sie nur durch lebendige Verben, die dem inneren Auge des Lesers eine Aktion oder einen dynamischen Prozess zeigen. Hierzu drei Beispiele:

Statisch:

Aktiv:

Hilfsverben – Langweiler ohne Eigenschaften

Eine totsichere Methode, Fahrt aus einem Text herauszunehmen sind die Hilfsverben »haben«, »sein« und »werden«. Eigentlich unterstützen Hilfsverben – im Sinne ihres Namens – Vollverben darin, die richtige Zeitform oder andere grammatikalische Merkmale auszudrücken. Das gebeugte (konjugierte) Hilfsverb »sein« etwa verwandelt die Aussage »Ich laufe.« in die Vergangenheitsform (Perfekt) »Ich bin gelaufen.«. Wegen dieser Funktion spricht man auch von Hilfsverben des Tempus, also der Zeit. Lassen Sie einmal folgende Beispiel auf sich wirken. Jeder Aussage mit einem Hilfsverb steht hier mindestens eine Variante mit einem dynamischen Verb gegenüber.

Schwach:

Stark:

Kaum weniger gesichtslos und phlegmatisch sind ihre Geschwister, die »Hilfsverben des Modus« oder Modalverben: dürfen, können, lassen, mögen, müssen, sollen und wollen. Die Stilanalyse des Textprogramms Papyrus Autor moniert den Gebrauch dieser Verben mit dem Kommentar »Verbfaulheit«. Nicht immer lassen sich diese farblosen Verben vermeiden. Meine Faustregel lautet daher: Lassen Sie andere sollen müssen, so viel sie mögen, wir dürfen weiter können wollen.

Setzen Sie bitte auch das Wort »machen« auf Ihre schwarze Liste der toten Verben. Statt sich »Gedanken zu machen« bewegt es den Leser mehr, wenn andere »grübeln«, sich »sorgen«, den »Kopf zu zerbrechen«, über etwas »brüten« oder meinetwegen einfach nur »nachdenken«. Aber bitte nicht machen!

Ebenso sparsam sollten Sie »befindet sich«, »es gibt«, »sich ereignen« und »stattfinden« verwenden. »Auf dem Messegelände befindet sich der Funkturm«, ist zwar auch für Nicht-Berliner verständlich, farbiger wäre: »Aus dem Messegelände ragt der Funkturm auf.« Oder: »… reckt sich den Wolken entgegen.« Oder: »… strebt in den Himmel.« Oder, oder, oder …

Unpräzise Wörter lassen jeden Text erblassen

Fast alles lässt sich allgemein oder präzise ausdrücken. Vor allem im Internet, wo Texter wie Getriebene ihre verbalen Ergüsse ins Netz hinauspusten, scheint das Wischiwaschi die Norm zu sein. Die meisten schwammigen Ausdrücke gehören zu folgenden drei Kategorien:

Modewörter: Hip ist der Depp

Modewörter, auch Trendwörter genannt, leiden unter ihrem inflationären Gebrauch. Wenn alles Begeisternde cool ist, alles moderne hip und alles Wichtige alternativlos, fühlt der Leser nichts mehr. Und wer nicht fühlt, der reagiert auch nicht.

Zwar habe ich Ihnen gleich in der zweiten Stilregel ans Herz gelegt: »Schreibe, wie du sprichst.« Das soll aber kein Freifahrschein für abgedroschene Modewörter sein. Allerweltsbegriffe haben weder Esprit noch Würze. Sie gaukeln Modernität vor, sind aber in Wahrheit nur ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Glänzen Sie lieber durch Wortgewalt, statt einem populären Wort Gewalt anzutun. Zwingen Sie ein Modewort in keinen Kontext, in dem es nichts zu suchen hat.

Anglizismen: ausgepowerte Worthülsen

Viele Texter und Schreiber scheinen zu glauben, englische Begriffe und Slogans hätten eine hypnotische Wirkung: Wer sie liest, hält das Beschriebene für ein hippes, obercooles Must-have, auch wenn es der größte Schrott ist. Wie Untersuchungen zeigen, heißt es für viele Leser bei solchen Anglizismen sofort Game over, bevor sie mit dem Lesen richtig begonnen haben. Sie verstehen nämlich kein Denglisch.

»Worst Case ist keine Wurstkiste« übertitelte Spiegel Online einen Artikel über denglische Werbung. Werber wüssten oft selbst nicht, was sie uns mit ihren englischen Schlagwörtern mitteilen wollten, bemerkte darin der Kölner Markenexperte Bernd Samland.

Der gute alte Schlussverkauf ist ausgestorben, heute gibt es nur noch Sale. Dabei bedeutet das englische Wort nur »Verkauf«, ist also mitnichten präziser als »Rabattaktion« oder »alles reduziert«. Schon legendär ist das Chaos, das die Parfümeriekette Douglas bei ihren Kunden mit dem Slogan Come in and find out angerichtet hat. Statt »Kommen Sie herein und finden Sie’s heraus.« verstanden viele »Kommen Sie herein und finden Sie auch wieder raus.«

Manchmal wünschten sich die Werbenden, ihre Zielgruppe hätte einen Werbespruch lieber nicht statt falsch verstanden. So etwa die Brauerei Beck’s mit ihrer Bierwerbung Welcome to the Beck’s experience. Viele Deutsche verstanden »Willkommen beim Beck’s-Experiment« und wollten lieber nicht als Versuchskaninchen herhalten. Aber sind diese Missversteher nicht eine ungebildete oder rückständige Minderheit? Von wegen! Marktstudien und Umfragen beweisen das Gegenteil.

Die Kölner Markenagentur Endmark fand etwas ziemlich Ernüchterndes heraus, als sie Konsumenten zu den einhundert in der Werbung an häufigsten benutzen Wörtern befragte: 72 bis 75 Prozent verstehen englische Werbung nicht oder nicht im Sinne des Absenders. In einer Allensbach-Studie antworteten 61 Prozent der über 13-Jährigen in Deutschland sie verstünden kein oder kaum Englisch.

Hinzu kommt, dass die eigene Muttersprache die Sprache des Herzens ist. Deshalb sind einige regionale Werbekampagnen in Mundart so erfolgreich gewesen. Statt wie beabsichtigt die Gefühle anzusprechen, reden viele Marketingspezis und Texter in Denglisch zu dem Dolmetscher in unserem Kopf. Der nimmt das Gesagte dann oft nur als Worthülse wahr: ohne Nährwert, ohne Stimulation. Die Reste der faden Botschaft, die – vielleicht auch noch verfälscht – im Bauch ankommen, wecken dort keine Schmetterlinge mehr auf. Sprechen Sie lieber in der Sprache, die Ihre Zielgruppe versteht und tief berührt.

Manchmal drängt sich mir der Eindruck auf, einige der so sehr ins Englische verliebten Texter wissen nicht, was genau sie sagen sollen. Sie scheinen zu glauben, mit ihrem Denglisch könnten sie die Leser berauschen, sodass die das substanzlose Wischiwaschi der Texte nicht durchschauen. Bitte begehen Sie nicht den gleichen Fehler. Verwenden Sie englische Begriffe nur, wenn sie in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind. Oder wenn es gar nicht anders geht.

Generische oder Gattungsbegriffe – die Gleichmacher

Auch Wörter, die eine Gattung benennen, sind von Natur aus unpräzise. Das gilt ebenso für Verben wie für Hauptwörter (Substantive). Folgende Liste zeigt von oben nach unten, wie Sie ein Lebewesen mit kurzen Beinen und starkem Gebiss immer präziser beschreiben können:

Texten Sie also nicht »Vögel flogen am Himmel«, wenn Sie auch »Schwalben durch die Luft schwirren« lassen können. Merken Sie, wie viel Leben präzise Worte einem Text einhauchen?

Fazit

Vielleicht ist es mir in diesem Beitrag gelungen, Sie für lebendige und tote Verben zu sensibilisieren. Erstellen Sie ruhig für sich oder Ihr Unternehmen ein Schwarzbuch der größten verbalen Gräueltaten. Da kommen dann peu à peu all die toten Verben und andere Wörter hinein, die Leser betäuben oder vertreiben. Zwei Merksätze mögen Ihnen beim Zusammenstellen Ihrer Liste als Richtschnur dienen:

Selbst ich ertappe mich immer wieder dabei, eine E-Mail oder einen anderen »Wegwerftext« zu allgemein zu formulieren. Sich treffend auszudrücken kostet mehr Zeit, keine Frage. Doch es bewegt die Leser Ihrer Zeilen sehr viel mehr. Sie bleiben länger bei der Stange, und das lohnt sich – auch und vor allem bei Texten im Internet.

Aktiv und präzise zu formulieren fällt Ihnen umso leichter, je öfter Sie im Alltag bewusst dynamische und auf den Punkt genaue Verben verwenden. Mit ein wenig Nachdenken finden Sie für fast jede Tätigkeit ein lebendiges und treffendes Wort. Ihre Leser werden es Ihnen danken.

8. Stilgebot