Sep15.'1720.00 Uhr

6. Stilgebot für guten Text: 
Meide das Passiv

Schreiben Sie aktiv, nennen Sie Ross und Reiter.

Von Ralf Isau

Menschen sind keine passiven Steine. Sie sind aktive Wesen – manche mehr, andere weniger. Schreiben Sie deshalb aktive Texte. Es liegt in der Natur des Menschen, sich von aktiven Worten ansprechen und mitreißen zu lassen. Im geschriebenen Wort beflügelt die Aktivform das Lesen. Sie bringt Schwung in den Text, während das weniger anschauliche Passiv den Leser ausbremst. Meiden Sie deshalb die verbale Spaßbremse, das Passiv, wie die Pest. Außer – aber darauf kommen wir noch.

Der Täter bleibt im Dunkeln.

Nicht von ungefähr bezeichnen Sprachwissenschaftler das Passiv als Leideform. Nicht, weil der Leser so unsäglich unter der Lektüre farblos-passiver Formulierungen leidet. Vielmehr verschiebt die Leideform den Fokus weg vom Täter, hin zum Erleidenden (oder Begünstigten) der Handlung. Das Passiv entzieht dem Akteur also die Aufmerksamkeit und rückt stattdessen das Objekt in den Mittelpunkt. Der Gegenentwurf dazu sieht so aus:

Diese Formulierung ist aktiv. Der Schäfer ist in diesem Beispiel das Subjekt und das Schaf das Objekt. Wechseln wir nun ins Passiv, mutiert das Objekt der Handlung – das Schaf – zum Subjekt des Satzes:

Puff! Schon ist Schäfer weg. Die Nebelkerze des Passivs verbirgt ihn vor dem Leser, zurück bleibt nur das leidende Objekt. Zwar ließe sich auch texten »Das Schaf wird vom Schäfer geschoren«, doch im grauen Alltag deutscher Gebrauchstexte fehlt diese stilistische Krücke oft. In den Textentwürfen von Kunden finde ich überwiegend Passivsätze, die den Täter verschweigen. Solche Konstrukte lassen den Leser im Dunkeln tappen. So mancher empfindet das als Zumutung und winkt verständnislos ab.

Hilfswörter entsorgen

Viele neigen beim Schreiben trotz dieser Nachteile zum häufigen Gebrauch des Passivs, so als wäre sein Gebrauch besonders schick. Obwohl Sprache durchaus Modetrends unterworfen ist, macht das Passiv den Text aber selten attraktiver. Es hält den Satz mit Hilfswörtern zusammen: »werde«, »wirst«, »werden«, »werdet«. Solche Sicherheitsnadeln machen den Text nur schwerfällig. Entsorgen Sie den verbalen Ballast. Schreiben Sie aktiv.

Passiv vs. Kürze

Manchmal führt der Verzicht auf einen Mitspieler im Satz zu kompakteren Texten. Im 5. Teil der Serie habe ich Ihnen ja empfohlen, sich kurzzufassen. Das Gebot der Kürze darf aber nicht die aktive Sprache verdrängen. Sie würden sich einen vermeintlichen Vorteil mit mangelnder Präzision erkaufen. Außerdem ist das Passiv nicht zwangsläufig kürzer, wie folgender Vergleich zeigt:

Der Joker »man«

Wer Ross und Reiter nennt, schreibt – ganz im Sinne des 3. Stilgebots – anschaulich und konkret. Aber nicht immer lässt sich der Verursacher genau bestimmen. In diesem Fall bietet die deutsche Sprache einen Joker, um trotzdem aktiv zu formulieren: das Wort »man«. Nun bleibt ja auch dieses Hilfswort eher vage als konkret. Im Vergleich zum Passiv ist es aber oft das kleinere Übel, erlaubt es doch den Bau aktiver und damit flüssiger lesbarer Sätze.

Ausnahmen und Grenzfälle

Wie bei fast jeder Regel gibt es auch beim 6. Stilgebot Ausnahmen. Manchmal gehört der Täter in den Hintergrund, weil das Opfer unsere Aufmerksamkeit verdient. Dann ist das Passiv vielleicht die bessere Wahl. Am 17.2.2017 etwa schrieb Der Tagesspiegel:

Natürlich hätte die Tageszeitung den Sachverhalt auch aktiv formulieren können:

In der Aktivform stünden aber die Männer mit den Handschellen im Blickpunkt und nicht ihr Opfer. Mit dem Passiv verbannen wir die Täter aus dem Rampenlicht, um die Bühne dem Leidenden zu überlassen.

Selbst wenn der Fokus auf dem Opfer liegen muss, lässt sich in vielen Fällen das unschöne Hilfsverb »werden« vermeiden. Das zeigen diese aktiveren Varianten der oben gezeigten Passivsätze:

Ob derlei Formulierungen dem jeweiligen Passiv vorzuziehen sind, müssen Sie im Einzelfall entscheiden. Ist die Aktivform verständlicher? Fügt sie sich nahtlos in den Zusammenhang? Im Zweifel sollten Sie den Text sich oder anderen laut vorlesen. Das Ohr erkennt meist leichter, wo es knirscht oder hölzern klingt.

Ausnahmen und Grenzfälle

Es muss nicht gleich einer die Freiheit oder sein Haarkleid verlieren, um das Passiv zu rechtfertigen. Oft würde eine aktive Wortwahl nur vom eigentlichen Sachverhalt ablenken wie in diesen Beispielen:

Es würde den Leser nur ablenken, schrieben wir hier:

Doch selbst in vielen solcher Alltagsphrasen lässt sich das Passiv vermeiden, wie diese Varianten zeigen:

Fazit

Wie wir im 7. Teil unserer Serie gesehen haben, trägt das Passiv an der Bürde dreier Nachteile:

  1. Der Text verliert an Schwung.
  2. Der Akteur bleibt im Dunkeln; der Text ist dadurch weniger anschaulich und konkret.
  3. Hilfswörter (»werden« usw.) machen den Text schwerfälliger.

Verdient eher das Objekt einer Handlung Beachtung als der Täter, ist das Passiv vertretbar. Im Alltag wählen aber nur wenige deshalb die Leideform. Oft sind wir nur zu bequem, manchmal auch zu scheu, den Täter aktiv zu benennen. Das zu ändern, ist gar nicht so schwer. Achten Sie im täglichen Reden und Schreiben auf eine aktive Sprache: im Telefonat, der E-Mail, den Kurznachrichten oder im schnellen Social-Media-Post. Dann werden Sie auch Ihre wichtigen Texte aktiv formulieren und damit mehr Leser begeistern.

Im 8. Teil unserer Serie lernen Sie noch dynamischer und bildhafter zu schreiben. Das nächste Stilgebot lautet: »Benutze aktive, präzise Verben.« Dranbleiben lohnt sich.

7. Stilgebot